Post-Lockdown-Flaute im ehrenamtlichen Engagement

Vereine und gemeinnützige Initiativen vermissen ihre helfenden Hände

Seit einigen Monaten ist es endlich wieder soweit: Die aktuellen Lockerungen machen es wieder möglich, sich auf vielfältige Weise zu engagieren. Viele gemeinnützig Aktive sind jedoch nach dem Lockdown nicht mehr in ihr Ehrenamt zurückgekehrt. Wir haben uns gefragt: Woran liegt das?

Ein Stimmungsbild gibt unsere kurze Umfrage, an der sich 57 Vereine und Initiativen beteiligt haben. Etwa die Hälfte aller Befragten haben einen Rückgang des Engagements bemerkt. Sie sehen vordergründig den Rückzug ins Private und neue Prioritäten nach Corona als wesentliche Auslöser. Mit dem Lockdown haben sich Alltag und Gewohnheiten verändert. Fehlende Routinen wirken sich noch darüber hinaus negativ auf die Bindung an Vereine und gemeinnützige Projekte aus. Häufig haben sich Lebenssituationen verändert und neben einer allgemeinen festzustellenden Lethargie ist es vor allem die Mehrbelastung, die nach dem erzwungenen Stillstand in vielen Lebensbereichen enorm zugenommen hat. Vieles will nachgeholt werden – das Ehrenamt wird darüber vergessen.

Prof. Michael Opielka von der Ernst-Abbe-Hochschule forscht bereits seit einigen Jahren im Bereich der Freiwilligenarbeit und beschäftigt sich aktuell mit diesem Phänomen der Post-Lockdown-Zeit. Der Jenaer Sozialwissenschaftler sieht das grundlegende Problem in der veränderten Wahrnehmung des öffentlichen Raums sowie der Mitmenschen als eine potenzielle Gefahrenquelle für die eigene Gesundheit. Nach wie vor sei die Angst vor Ansteckung eine präsente Empfindung und somit ein Beweggrund, das Engagement weiterhin zu pausieren.

Auch er hat einen Rückzug ins Private festgestellt und sieht die derzeitige Meinungsspaltung in der Gesellschaft als auslösenden Faktor. Um den drohenden Konflikten im Aufeinandertreffen mit Anderen aus dem Weg zu gehen, bleibt man lieber im vertrauten Umfeld.

Erleichtert wird dieses Verhalten durch die stark vorangetriebene Digitalisierung in den vergangenen anderthalb Jahren. Michael Opielka ist jedoch sicher: Digitales Leben kann persönliche Begegnungen nicht ersetzen und viele Menschen verspüren eine Sehnsucht nach Normalität. Notwendig dafür ist und bleibt ein Miteinander – über die sozialen Netzwerke und Video-Calls hinaus.

Einhergehend damit ist aufgefallen, dass digital umsetzbare Engagementmöglichkeiten wie Weiterbildungs- und Nachhilfeformate einen Zulauf verzeichnen. Jene Angebote, die von einem geselligen Miteinander leben und während des Lockdowns nur schwer in einer digitalen Alternative umsetzbar waren (z.B. Chöre, Tanzgruppen, Sportangebote), erleben weiterhin einen Mitgliederschwund. Es sind Ebenjene, deren Reiz auch in der Teilnahme an größeren Veranstaltungen liegt. Insbesondere bei der Organisation solcher Veranstaltungen sorgen die anhaltenden pandemiebedingten Bestimmungen und damit einhergehende Unsicherheiten in der Umsetzung für Frustration.

Laut Michael Opielka dürfen wir aber hoffen: Mit Ende der Einschränkungen des öffentlichen Lebens und im Besonderen auch dem flächendeckenden Impfangebot kehre mit dem Gefühl der Sicherheit und dem Wunsch nach Geselligkeit auch hier die Normalität zurück.

Wir drücken die Daumen und hoffen, in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten wieder mehr Freiwillige für Initiativen wie unser „wellcome-Projekt“, die Selbsthilfe-Reparierwerkstatt und die Fahrradschule für geflüchtete Frauen begeistern zu können. Denn fest steht: Ohne Helferinnen und Helfer werden viele wichtige und notwendige Projekte nicht mehr auf die Weise unterstützt werden können, wie bisher.

Statements der Umfrageteilnehmer*innen
  • Die Durchführung von Treffen mit ausreichend Platz ist schwierig. Digitale Meetings erreichen nicht alle. Es erfordert mehr Flexibilität von Engagierten. Langfristige Aktionen können kaum geplant werden, es ist schwerer Engagierte immer wieder kurzfristig zu motivieren. Wenn es aber zu Treffen und Aktionen kommt, merkt man wie sehr das Zusammenkommen und aktiv sein gefehlt hat und den Spaß wieder zusammen aktiv zu sein.
  • Die Jungen haben Stress mit dem Job. Die Alten ziehen sich zurück.
  • Wir haben viele Ehrenamtliche über Infostände in der Uni gefunden. Da diese komplett weggefallen sind und wir auch nicht genau wissen, wann wir wieder welche machen können, ist unsere Reichweite relativ klein.
  • Wenn mal was geplant war und wir kurzfristig absagen mussten wegen fehlendem Hygienekonzept, kommen zur wiederholten Einladung weniger bis gar keine. Die Freude, sich wieder treffen zu dürfen, beschränkt sich gerade auf Veranstaltungen, die notwenig sind, wie zum Beispiel Elternnachmittage. Die Planung von Veranstaltungen sind sehr kompliziert geworden. Immer die Frage: Wenn ich Schnupfen habe, darf ich kommen? Einige haben keine Lust auf das Testen oder möchten nicht preisgeben, ob sie geimpft oder genesen sind.
  • Jugendliche Ehrenamtliche sind schwierig zu gewinnen, sie wollen ihre Freizeit häufig lieber mit Freunden verbringen als sich zu engagieren
  • Ehrenamtler*innen, die uns vor Corona besuchten, sind zum größten Teil wieder da. Bei anderen ist dies durch persönliche Umstände nicht mehr möglich. Die meisten kommen durch Mundpropaganda zu uns, bisher hat uns eine junge Frau über die Engagementbörse gefunden.
  • Gemeinschaftsaktivitäten werden in den privaten Raum verlagert, weil es dort weniger Beschränkungen gibt. Es gibt weniger Bereitschaft, sich über einen längeren Zeitraum zu engagieren. Andererseits funktionieren gut funktionierende Netzwerke weiterhin gut.